Van Riemsdijk Effekt

Willem van Riemsdijk war sicherlich einer der besten Wissenschaftler, mit den ich je zusammengearbeitet habe. Den grössten Teil seiner Karriere war er Professor für Bodenchemie an der Universität Wagenigen, Niederlande. Er ist jetzt pensioniert, hat wohlweislich mit der Wissenschaft aufgehört, und wandte sich anderen Dingen zu, wie in einem historischen Haus zu wohnen, Gesellschaft mit kleinem Energieverbrauch, Botanik und Kunst. Sie finden ihn auf Twitter.

Seine Art Wissenschaft zu betreiben war etwas ungewöhnlich. Er hat die meiste Energie auf eine einzige Frage konzentriert, nämlich die Ionenadsorption auf der Wasser-Oxid-Grenzfläche. Sein Lieblingsmineral war Goethit. Früh in seiner Karriere, schrieb er mit seinem Kollegen Tjisse Hiemstra zwei Schlüsselartikel zum Thema [1]. Er hat seither an diesem Thema mit seiner Forschungsgruppe weitergearbeitet. Man sollte somit nicht überrascht sein, dass er weltweit zu einem der besten Experten auf diesem Gebiet wurde. Ich habe dieses Thema auch etwas bearbeitet und aus meiner Sicht, es gab (und gibt) keine andere Gruppe, die je ein vergleichbares Ausmass vom Verständnis von Ionenadsorption an Wasser-Oxid-Grenzflächen entwickelt hatte.

Eine typische Forschungsgruppe funktioniert heutzutage anders. Die Themen sind breit gestreut, und jeder Doktorand bearbeitet eine andere Frage. Diese Situation ist bedingt durch den erheblichen Anteil der Drittmittel, die heute für das Betreiben einer Forschungsgruppe unabdingbar geworden sind. Ein normales Forschungsprojet finanziert in der Regel einen Doktoranden während ein paar Jahren. Jedes Forschungsprojekt muss ein anderes Thema abdecken, weil die Förderorganisationen die gleiche Forschung nicht doppelt finanzieren wollen. Wenn Sie das gleiche Thema weiterbearbeiten möchten, fehlt einer solchen Forschung offensichtlich die Originalität. Größere, langfristige Forschungsprojekte, die es ermöglichen würden, sich auf ein Thema vertieft zu konzentrieren, sind selten und schwierig zu bekommen. Man sollte also nicht überrascht sein, dass heute die Forschung immer oberflächlicher und fehleranfälliger wird. Diese Trends sind sicherlich teilweise die Ursache für die Probleme bei der Reproduzierbarkeit in den medizinischen Wissenschaften [2], aber andere Wissenschaftszweige scheinen da auch nicht immun zu sein [3].

Ich erinnere mich lebhaft an eine Diskussion mit Willem zur Frage, wie Forschung zu betreiben ist. Diese Diskussion hat wahrscheinlich um 1998 stattgefunden, während mich Willem in Zürich, wo ich damals arbeitete, besuchte. Willem hat mich wahrscheinlich zu überzeugen versucht, mehr Forschung zur Ionenadsorption an Wasser-Oxid-Grenzflächen zu betreiben. Ich widersprach allerdings: "Willem, Du hast das Gebiet vernichtet." Willem war offensichtlich überrascht, und ich erklärte: "Nach all den fantastischen Ergebnissen, die Du vorgelegt hast, wer würde es noch wagen, in dieses Gebiet einzusteigen? Ein Aussenseiter kann nichts mehr tun. Jeder vernünftige Mensch wird sich da heraushalten. " Willem wurde nachdenklich, und ich fügte hinzu." Ich besprach dieses Thema bereits mit anderen. Wir nennen es den van Riemsdijk Effekt". Vielleicht sagte ich dies ein bisschen vorwurfsvoll, und Willem fragte deswegen: "Sollte dieser Effekt vermieden werden?"

Mein Gefühl damals war zu sagen, ja, man sollte in der Forschung in Gebieten arbeiten, wo eine ausreichende Anzahl anderer Forscher beteiligt sind. Das Thema sollte zeitgemäss sein, notwendigerweise etwas oberflächlich, und man sollte Raum für andere belassen. Diese Praxis wird auch zu Zitaten führen, welche das moderne Mantra eines erfolgreichen Forschers sind. Die Förderorganisationen sehen es auch gerne, wenn die Forschungsgemeinschaft so funktioniert, und dafür wird man auch belohnt.

Aber ich lag wahrscheinlich falsch. Der van Riemsdijk Effekt sollte nicht vermieden werden. Sollte man in der Lage sein, einen eigenständigen Forschungsbeitrag zu machen, dann sollte man alle verfügbare Energie darauf konzentrieren. Man sollte sich möglichst wenig über die Forschungsgemeinschaft und die Förderorganisationen kümmern. Man sollte auf der gleichen Frage über Jahre, besser Jahrzehnte, arbeiten. So kann man auch die Probleme der Reproduzierbarkeit umgehen, weil man immer wieder gezwungen ist, das zu wiederholen, was man bisher getan hat. Sie riskieren das Gebiet sogar zu vernichten, wofür Sie danach sicherlich keine Zitate bekommen werden. Wenn aber die Ergebnisse wichtig waren, werden diese notfalls wiederentdeckt, vielleicht Jahrzehnte später.

Michal Borkovec, 7. Februar, 2016

References

[1] Hiemstra T., de Wit J. C. M., van Riemsdijk W. H., J. Colloid Interface Sci. 1989, 133, 105-117, 10.1016/0021-9797(89)90284-1; Hiemstra T., van Riemsdijk W. H., Bolt G. H., J. Colloid Interface Sci. 1989, 133, 91-104, 10.1016/0021-9797(89)90285-3;

[2] Ioannidis, J. P. A. PLoS Medicine 2, e124, 2005, 10.1371/journal.pmed.0020124. 10.1371/journal.pmed.0020124; Aarts A. A. et al., Science , 349, 943, 2015, 10.1126/science.aac4716.

[3] Drahl C. Chem,. Eng. News 92, 7, 2014, link; Centre national de la recherche scientifique (CNRS), Communiqué de presse, July 10, 2015, link.


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